Das Wochenende an dem sich die SPD vom Neoliberalismus verabschiedet hat

Ein Kommentar zum SPD-Bundesparteitag vom 6. bis 8. Dezember 2019

Wenn man krank ist hat es wenigstens den Vorteil, dass man das gesamte Wochenende den Livestream nebenbei laufen lassen kann. Und ich bin auch froh, dass ich relativ viel vom vermutlich historischen Parteitag mitbekommen habe. Nach der Eröffnung des Parteitags und nach den Rechenschaftsberichten, haben Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ihre Bewerbungsreden für den Parteivorsitz gehalten.

Auch wenn einige Journalist:innen über die Reden von Saskia und Norbert gelästert haben: Rhetorik kann man lernen, Inhalte und Überzeugungen eher nicht und die haben bei Saskia und Norbert gestimmt. Allein durch Saskias Lebensbiographie strahlt sie starke Glaubwürdigkeit aus, da sie mehrere Jahre in unqualifizierten Jobs gearbeitet hat, bevor sie eine Ausbildung zur Informatikerin begann. Infolgedessen hat sie die prekäre Beschäftigung und deren Bekämpfung in den Mittelpunkt ihrer Rede gestellt. Aus einer sozialdemokratischen Perspektive versucht sie auf Fridays for Future zu antworten. Denn auch die Leute von FFF wollen Jobs. Nämlich nachhaltige, gut bezahlte Jobs mit Zukunft und deswegen dürfen die Forderungen von FFF nicht als Widerspruch zu einer sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik gesehen werden. 

Auch Norbert Walter-Borjans hält eine inhaltlich sehr starke Rede. Er verurteilt den antieuropäischen Chauvinismus, fordert eine Sozialoffensive für die EU und macht klar, wieso es auch Deutschland was angehen muss, wenn es unseren Europäischen Nachbarn schlecht geht und eine Jugendarbeitslosigkeit von über 30% haben. Er fordert eine Abkehr von der schwarzen Null und die Abschaffung der Schuldenbremse, um Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. 
Eine meiner Lieblingsstellen seiner Reden war diese: 

<<Und wenn es links ist, dass wir das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft nicht akzeptieren wollen, dann haben wir nichts gegen diese Einordnung. Wenn es links ist, dass die Rente mit Steuerbeiträgen der Großvermögenden ein Stück gestärkt wird, damit alle wirklich in Würde alt sein können, dann sind wir links.
Und wenn es links sein soll, den öffentlichen Wohnungsbau massiv auszubauen und Wohnen bezahlbar zu halten, dann sind wir selbstverständlich links. >>

Zur Bewerbung für den stellvertretenden Parteivorsitz hält Kevin Kühnert eine fulminante Rede. Er nimmt die rote Socken Kampagne der Union aufs Korn und verweist indirekt zum Beispiel auf die Thüringer CDU, wo viele mit der Höcke-AfD koalieren möchten. Er fordert die SPD dazu auf die durch die Digitalisierung demokratisierte Kommunikation endlich als Chance zu begreifen auf junge Menschen zu gehen zu können. btw: Auf dem Youtube Kanal der SPD verlaufen sich ja nicht gerade viele Menschen. Die Rede von Kevin wurde dennoch schon bereits 51.000 mal gesehen. Serpil Midyatli kommt immerhin auf über 1000 Klicks. Klara Geywitz, Hubertus Heil und Anke Rehlinger nicht mal auf 500. Allein über die Fanpage SozialKritik wurde seine Rede weitere 61.000 Mal gesehen. Kevin Kühnert ist das größte politische Talent, das die SPD momentan hat und deswegen ist es auch richtig, dass er zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt worden ist.

Auch als Beisitzer:innen wurden viele tolle Leute in den Vorstand gewählt. Insbesondere über die Wahl von Gustav Horn, dem ehemaligen Direktor des gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und dem Vorsitzenden der postkeynesianischen Keynesgesellschaft, habe ich mich sehr gefreut. Damit sind mit NoWaBo gleich zwei Leute im Vorstand, die Ahnung von Wirtschaftspolitik haben. Mit Cansel Kiziltepe hätten es drei sein können, aber sie wurde nicht gewählt, was ich sehr bedaure. 

Dennoch sitzen im Parteivorstand der SPD so viele Parteilinke wie schon lange nicht mehr. 

Auch inhaltlich hat sich auf diesem Parteitag vieles getan. Unter anderem: 

  • Der Parteitag hat ein Investitionspaket in Höhe von 450 Milliarden Euro für 10 Jahre beschlossen, so wie es auch das IMK fordert und die Einführung einer Vermögenssteuer
  • Im Vordergrund des Klimabeschlusses steht nicht die CO2-Bepreisung, sondern ein Green New Deal (!!!!!)
  • Er beschloss einen Mietendeckel für fünf Jahre, mehr Geld für geförderten Wohnungsbau und ein umfassendes Vorkaufsrecht für Kommunen (letzteres halte ich für einen sehr wichtigen Beschluss)
  • Das Rentenniveau soll wieder erhöht werden
  • Das Arbeitslosengeld I soll verlängert werden und für Bürger:innen, die eine Aus- oder Weiterbildung machen soll es ein Arbeitslosengeld Q geben, das bis zu 3 Jahre ausgezahlt werden kann. 
  • In der Pflege soll eine Bürgerversicherung eingeführt werden

Selbstverständlich könnte man noch vieles kritisieren. Zum Beispiel den Interpretationsspielraum bei der Sanktionierung des SGBII oder ob man wirklich für eine Abschaffung der Schuldenbremse ist. Die Reden von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dazu waren deutlich. Insbesondere die von NoWaBo zur Abschaffung der Schuldenbremse war deutlich. 

Die Eskabo-SPD ist eine neue. Sie ist eine, die sich an diesem Wochenende programmatisch endgültig vom Neoliberalismus verabschiedet hat.

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